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HAUTEN an der Sulm

nicole pruckermayr, 2011

Schinden als Erneuerung - eine Erleichterung, als Klärendes, vielleicht Heilendes
performativ als work in progress werden Hautabdrücke von Personen angefertigt

HAUTEN Eine der ersten abgenommenen Häute fotografiert am 23.Juni 2011.

Am Badestrand der Steinernen Wehr an der Sulm werden beginnend mit dem ersten Mai wochenends Hautabdruckssitzungen mit der Künstlerin angeboten. In festgelegten Zeiten werden performativ Latexabdrücke der menschlichen Haut freiwilliger Personen abgenommen. Fein säuberlich, möglicherweise teilweise etwas schmerzhaft – je nach Körperteil und Haarwuchs – werden Abdrücke von Körperstellen angefertigt, die die Personen selbst wählen können. Ähnlich Hautpartikeln, die wir alle und kontinuierlich verlieren, können diese Hautteile verloren oder gesammelt werden, je nach Wunsch der EigentümerInnen. Angebot der Künstlerin ist es eine Wäscheleine über die Sulm zu spannen und den Lufthauch der Abdrücke kontinuierlich mit dem Fluss weitertragen zu lassen.
Und da hängen sie die Hautteile, die Relikte des Selbst. Es hat sich etwas verschoben – die Haut hat sich verselbständigt. Der Hautteil hat das Zimmer verlassen, hängt schutzlos unter freiem Himmel, Tag und Nacht. Etwas Merkwürdiges ist passiert. Wir haben einen Teil von uns örtlich fixiert. Der Mensch, so ortsfest er auch scheinen mag, ist ein, sich ständig in Bewegung befindliches Wesen. Still zu sitzen, im Bett zu liegen (so viel wir das auch tun mögen), eigentlich ist es ein Zustand, der dem Menschen auf Dauer nicht behagt. Der Mensch ist auf Bewegung konditioniert. Alles schlackert an uns, alle Gelenke wollen bewegt werden. Die Haut ist so dehnbar, dass sie fast jede Überdehnung mitmacht. Nun hängen diese Abdrücke gefangen an der Leine und der Wind und das Wetter arbeiten sich ab. Dieses Abarbeiten geht schneller als an uns Menschen, wir produzieren Zellen nach, der Verschleiß wird kompensiert – es wird nachproduziert. Hier am Zweitkörper geht der Zellabbau ohne Nachschub vonstatten und unsere Vergänglichkeit wird demonstriert, fast zelebriert. Aber unsere Materie verteilt sich so auch effektiver – das Wasser der Sulm nimmt uns mit auf die Reise.
Jeder Abdruck zeigt Gemeinsamkeiten und Unterschiede von verschiedenen Häuten. Durch den Abdruck der Haut wird die Gemeinsamkeit der Menschen als Menschen ohne farbigen Haut- oder Genderunterschied sichtbar. Der Abdruck ist auf wenige Eigenschaften der Haut reduziert und dennoch gibt er sehr viel Preis und ist intim. Das Schinden des eigenen Leibes gibt aber auch Klärung und Reinigung, nicht nur das mit Erneuerung zu beglückende, auch man selbst erfährt Verjüngung. So befreiend es sein kann, Ballast abzugeben, so beklemmend kann es gleichzeitig sein, intime Relikte von anderen zu sehen und zu begreifen. Was sagt es über eine Gesellschaft aus, wenn eine spärlich bekleidetet Leiche einer Frau im Fluss gefunden wird und kein ernstzunehmender Versuch gestartet wird, aufzuklären, was passiert ist?

Hintergrund: Xipe Totec ist der Vegetationsgott der Azteken, aber auch der Gott des Frühlings. Jedes Frühjahr wurde ihm zu Ehren ein Fest gefeiert, das Tlacaxipenaliztli, welches mit Menschenopfern verbunden war. Als Symbol für den Kreislauf von Leben und Sterben in der Natur opferte man einen Kriegsgefangenen. Die Opfer wurden gehäutet, die Haut umgedreht und dem Priester angezogen, bis sich die Haut des Opfers auflöste, verrottete. Das Vorgehen wirkt nicht nur gewaltsam und brutal, sondern war es sicher auch. Xipe Totec brachte dem jeweiligen Opferpriester immer wieder Erneuerung/Verjüngung. Faszinierend ist dabei der Glaube an die Wirkung der Haut als Überbringerin einerseits neues Lebens, aber auch der Eigenschaften der getöteten Person. Die Haut und zwar nur eine dünne oberflächliche Schicht, erhält die Macht die Identität einer Person nicht nur während des Lebens zu bestimmen, sondern diese Identität auch über ihren Tod hinweg weiter zu tragen. Die Haut ist nicht erst seit den westlichen Erkenntnissen der Psychoanalyse identitätsstiftend, gibt dem Ich eine Form und gleichzeitig auch Halt. Diese frühe Form des Kultes rund um die Haut erschüttert und fasziniert zugleich.

Eine performative Installation realisiert im Rahmen der Ausstellung “UNSICHER" ein Projekt von KUNST://ABSEITS VOM NETZ, von 1.5. bis Ende Oktober 2011, an der "ZUM STEINERNEN WEHR" A - 8430 Kaindorf an der Sulm, EU



Arbeitstage von Nicole Pruckermayr:

so, 15.5.//sa, 11.6.//do, 23.6 – Feiertag//fr, 5.8.//sa, 6.8. jeweils 15:00 bis 17:00.


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DANK an Erwin Stefanie Posarnig





Querverweis: „Kollektives Frühlingsschinden. HAUTEN“, performative Installation und Ausstellung im Fliegenden Atelier Babelle, initiiert vom Kunstraum Sumpfhahn, 02.02 - 07.02.2009


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