Ektoderme Wege
„Was am tiefsten im Menschen liegt, ist die Haut. [...] Und dann Mark, Gehirn, alles, was man zum Fühlen, Leiden, Denken...in die Tiefe gehen [...] braucht, sind Erfindungen der Haut! ... Wir können graben, Doktor, aber wir sind ... ektoderm.“ (Zitat von Paul Valéry).
Dieses Zitat führt gedanklich zu meinem Projekt, einem künstlerischen Experiment. Ich verwende hier das Bild des Faltens und Stülpens von Innen nach Außen und umgekehrt. Ich habe mein Innen liegendes Gehirn basierend auf Untersuchungsbildern in möglichst präziser Weise virtuell nachmodelliert. Dieser Nachbau wird nach Außen projiziert. Weiters habe ich einen Nachbau der Haut erzeugt. Eine Latexhaut. Dadurch faltet sich meine Körperhaut quasi nach Innen. Der Latexabdruck der Haut, der gleichzeitig die Versiegelung der Haut darstellt, erzeugt erst die Wunschvorstellung eines Behälterraumes, den es in der Natur
nicht gibt. Jetzt erst wird der Körper tatsächlich geschlossen und von der Umwelt abgetrennt. Ich zeige damit das Idealbild des abgeschlossenen Körpers des 18. und 19. Jahrhunderts. Gleichzeitig demonstriert er das Scheitern dieser Idealvorstellung. Es ist eine Demonstration der Unmöglichkeit eines abgeschlossenen Körpers. Durch die Einführung der neuen Ebene, der künstlichen Haut, entsteht ein Zwischenraum zwischen neuer (künstlicher) und alter (meiner) Haut. In diesem Zwischenraum sammelt sich Schweiß, der normalerweise vom Raum absorbiert wird. Schweiß weist so auf die Porösität der Körperhaut hin und demonstriert gleichzeitig ihren stetigen Ab- und Aufbau. Das Schweißsekret vermischt sich an der Hautoberfläche z.B. mit absterbenden Hautteilen und wird von Bakterien abgebaut. Dadurch entsteht der spezifische Geruch einer Person, der in sexueller Hinsicht wichtig ist. Dieser Umstand verweist unter anderem auf Geschlechtlichkeit. Dabei geht es aber nicht nur um den Körper. Jede Person besitzt eine gewisse Ausformung an Geschlechtlichkeit auch in Richtung Geschlechtsidentität, Erfahrungen und Umwelteinflüssen. Schweiß verstehe ich als Spur der spezifischen Position innerhalb des multidimensionalen Geschlechtsraumes. Hier erweitere ich meinen Körper in technologischer Hinsicht durch schweißempfindliche Sensoren. Diese positioniere ich im Zwischenraum Haut/Haut an den Stellen erhöhter Schweißsekretion meines Körpers. An der Schnittstelle zwischen Schweiß und digitalem virtuellen Raum entstehen Parameter, die einen Weg innerhalb des Gehirnnachbaues ermöglichen. Die einzelnen Sensoren liefern Informationen über die Änderungen der Schweißsekretion. Dadurch erhalte ich Parameter, die Geschwindigkeit, Beschleunigung und Richtungen innerhalb des Gehirnnachbaues ermöglichen. Es entsteht ein Weg. Durch meine Haut und ihre Ausdünstung bewege ich mich durch die Reproduktion meines außen sichtbaren Innenraums
. Aufregung, Anspannung und Stress auf Grund von psychischer Belastung können genauso erhöhte Schweißsekretion bewirken wie rein körperliche Anstrengung. In der Regel kann man nicht bestimmen, welcher Teil
des Menschen, Körper, Geist oder Seele, dies auslöst. Die beiden sichtbaren Teile meiner Arbeit sind künstlich produzierte Nachbauten meiner selbst. Einerseits findet eine Schichtung statt. Diese erschafft eine Grenze. Meine Körperhaut zeigt sich nicht mehr reagierend. Die interessante Schichtung, die Durchblicke und Tiefe ermöglicht verschwindet unter einer abgrenzenden künstlichen Haut. Andererseits verwende ich eines dieser viel zitierten optischen Geräte. Dabei treffe ich wieder auf die Haut und zeige sie. Das Außen verschwindet nach Innen und das Innen kommt nach Außen, es ist irrelevant, was Außen und was Innen gezeigt wird oder verschwindet. Mir geht es darum die Grenzpositionen, sowohl von Geschlechtern, als auch der Körperhaut zu relativieren. Die für mich interessanten Aspekte der Haut sind ihre spezifische Schichtung und der Kontaktraum Haut, die reagierende und durch Technologie erweiterbare Haut. Der multidimensionale Geschlechtsraum bietet eine Vielfalt an Möglichkeiten für jede einzelne Person. Selbst die Kategorien Sex und Gender werden aufgefächert. Die polzentrierten Konstruktionen Mann/Frau und Innen/Außen sind beide Produkte des Rationalismus, sind problematisch, nicht haltbar und stehen zur Disposition.
Sound: IOhannes m zmölnig