HAUTLAGER
3-teilige Rauminstallation von nicole pruckermayr mit einer Arbeit von Raphael Daum, 2023
Tastsphäroid (nicole pruckermayr, 2016)
TrostHAUT – TaschenHAUT (nicole pruckermayr, 2023)
Der Blick von hinten (Raphael Daum, 2023)
Die Triade wirkt bizarr, eigenwillig, widerspenstig – empfindlich, verletzlich, sensibel. Das beständige Thema Haut nimmt gefangen, umhüllt, wird übergestülpt, der (Haut)Mantel als Schutz nach außen und zugleich durchlässige Hülle.
Alternierend nach unten bzw. oben weisende, sich berührende Latex-Abdrucke des linken Zeigefingers der Künstlerin pendeln wie Kettenglieder von der Decke, knapp über einem am Boden liegenden Spiegel endend, diese Aneinanderreihung unterbindend, reflektierend. Die Anweisung, etwas zu tun bzw. zu lassen, wird im Spiegelbild ad absurdum geführt. Es findet sich eine ständige Zerrissenheit zwischen dem Müssen, Sollen, Können, Dürfen, wobei das versierte Gefühl den richtigen Weg weist – in manchen Fällen allerdings nur vermeintlich. Trost wird erforderlich.
Die TrostHAUT als Integumentum, das Sicherheit und Geborgenheit gibt und durch Farbe und Form auf unsere eigene Haut verweist, weich, duftend, empfindsam, wohlfühlend, aber nicht austauschbar. Die vorliegende Arbeit findet als Decke ihre Bestimmung, die uns die im Moment benötigte Wärme gibt, in die wir uns hüllen, um uns vor den Blicken der anderen zu entziehen, um eine kurze Zeit der Stille zu finden, ein Momentum der Kontemplation zum Wiederfinden und Wahren der schwankenden, inneren Balance. Die Haut(decke) lässt den gesuchten Halt zuteilwerden, das sensible, hochkomplexe Gebilde, das einfühlt, mitfühlt, Materie im Mikrogrammbereich wahrnimmt, fällt in sich zusammen, wird zum sprichwörtlichen Häufchen Elend, wenn Kummer und Leid überhand nehmen. Die TrostHAUT als zusammengeknüllter Ball wird aufgefaltet und ist nun ein überdimensionales Taschentuch.
Ergo wird das Vergangene hinter sich gelassen, der Blick in die Zukunft gewandt, die noch gestaltbar, formbar, beeinflussbar und mit allen Hoffnungen ausgestattet ist. Möglicherweise resultiert aus diesem Aufbruch ins Neue und dem Bedürfnis nach Möglichkeiten und Unversehrtheit, das Interesse an und die Flucht in eine künstliche Welt, in der die Welt nach den eigenen Vorstellungen und Vorlieben konstruiert werden kann. Der Blick von hinten des Künstlers Raphael Daum zeigt uns eine vollständig von KI (Künstliche Intelligenz) generierte Rückenansicht einer Person, die eine Projektion unserer Wünsche und Träume darstellt, aber auch eventuell Konfliktpotenzial beinhaltet. Dem Bedürfnis, seine Hand über diesen definierten, muskulösen Rücken gleiten zu lassen, die Erhebungen seiner Ausgeprägtheit in seiner Gesamtheit zu erfassen, den Geruch der warmen Haut in sich aufzunehmen, den Körper mit allen Sinnen wahrzunehmen, dem ist nur schwer zu entkommen. Doch es ist allein eine Fotografie, unendlich weit entfernt, wie die Welt, in der sie erzeugt wurde. Diese Unendlichkeit, in die sich die künstliche Welt zu verlaufen scheint, scheint wenig Sinn für Sensibilität und Trost zu haben. Die einzelnen Arbeiten im HAUTLAGER sind überlebensgroß, überdimensional und wirken in ihren Ausmaßen generell zu groß geraten: der Finger, das Taschentuch/die Decke, der Rücken. Es stellt sich die Frage, ob es sich um eine wachsende Bedrohung handelt, die Überhand nimmt oder ob es die Aussicht auf eine heranreifende Zuversicht ist, wie sie dem Wort „Trost“ innewohnt, dem seelischen Halt und der Ermutigung im Leid.
In unserer labilen, sich beständig wechselnden Welt gibt es mittlerweile wenig, das uns das Gefühl von Stabilität gibt und des Beschütztseins vermittelt. Das Dach über dem Kopf, das gegen das Zelt getauscht werden muss, sei es durch „Spezialoperationen“ oder durch das zunehmende Sich-Wehren der Natur in Form von Naturkatastrophen, bei denen oft nur die eigene Haut gerettet werden kann. Der Wunsch nach einer Restitutio in Integrum ist allgegenwärtig.
Text: (C) Marlies Schöck